Eine kleine Spurensuche bei der
Ruine der alten Johanniskirche
am Ortsrand von Walluf im RheingauDas unauffällige und dachlose Mauergeviert in den Rheinwiesen, östlich von Niederwalluf, war einstmals die Wiege und das Zentrum des Dorfes, das seit 770 schriftlich bezeugt ist. Die "alte" Johanniskirche stammt in ihrer letzten Fassung aus dem Ende des 15./ Anfang des 16. Jahrhunderts. In ihrer Nordwand enthält sie noch die Spuren von Vorgängerbauten aus dem 10. und 12. Jahrhundert. Erbaut wurde sie von den Bewohnern der benachbarten Turmburg, die im 10.Jahrhundert entstand. Von diesem ursprünglich militärischen Bauwerk, das nur wenige Meter südöstlich liegt, sind nur noch die Reste des Untergeschosses erhalten.
Schon in vorchristlicher Zeit war der Platz besiedelt und lag - die Wallufer kennen das aus leidvoller Erfahrung - an einer alten Durchgangsstraße, die von Mainz über eine Rheinfurt hinauf ins Limburger Becken führte.
Bis ins 18. Jahrhundert diente das Bauwerk den Niederwallufern als Pfarrkirche, auch wenn zu dieser Zeit das Dorf selbst schon nach Westen, auf die andere Seite des Wallufbaches, gewandert war.
Dort, kaum 500 Meter weiter westlich, auf Kurmainzischem Gebiet, bot sich den Bewohnern seit dem 14. Jahrhundert nämlich die Möglichkeit, vom Schutz des Gebücks, von den Freiheitsrechten, vor allem aber von den Steuervergünstigungen des Rheingaus zu profitieren.
Mitte des 18. Jahrhunderts machten die Wallufer dann die Adelheidkapelle in der Ortsmitte zu ihrer Pfarrkirche und stellten sie ebenfalls unter das Patronat des Heiligen Johannes des Täufers. Altäre und Kunstgegenstände aus der alten Pfarrkirche wurden dorthin überführt.
Seit Anfang des 19. Jahrhunderts überließ man den Bau, der in den Kriegswirren von
1793-95 stark beschädigt worden war, dem Verfall. Er diente nur noch als Scheune und Eiskeller.
Bei Ausgrabungen in den Jahren 1931/32 wurden die bisher verschütteten Reste der alten Turmburg wiederentdeckt und anhand der Funde konnte die bisher unbekannte Baugeschichte der Kirche rekonstruiert werden.
Nach erneuten Sanierungsmaßnahmen in den 70er Jahren und im Jahre 2001 wird der Ort heute für kulturelle Veranstaltungen genutzt.
Für den Wanderer und Besucher, der interessiert ist den Spuren der Baugeschichte selbst nachzuspüren, hier einige Hinweise:
Drei Bauwerke in einem
Wer sich das heute noch erhaltene kleine Mauergeviert (ca. 10,30x13 m) genauer anschaut (hier blau dargestellt), kann noch die Spuren der beiden Vorgängerbauten ausfindig machen.
* Der Ursprungsbau (hier rot dargestellt) entstand etwa um 1000. Die kleine Hallenkirche (5,80x10 m) mit angebautem quadratischem Chor (oder Turm?) lag etwa 1,80m unter dem heutigen Geländeniveau.
* Im 12. Jahrhundert wurde nördlich eine Erweiterung angefügt (hier gelb dargestellt).
* Der Neubau aus dem 14. Jahrhundert entstand auf heutigem Geländeniveau. Spuren der beiden ersten Bauwerke verbergen sich noch heute in der Nordwand. Dem Direktor des Wiesbadener Museums, Dr. Ferdinand Kutsch (1889-1972), der die Ausgrabungen in den 30er Jahren leitete, dienten sie u.a. zur Rekonstruktion der bis dahin unbekannten Baugeschichte der tausendjährigen Kirche.
Die Spuren in der Nordwand:
(1) Der ursprüngliche Bau (ca. 1,80 Meter unterhalb des heutigen Geländeniveaus) reichte etwa bis zu dieser Höhe. Die rote Farbe der Sandsteine zeugt von einem Brand, bei dem die erste Kirche offensichtlich stark beschädigt wurde. (Unter der Putzschicht führte die Hitzeeinwirkung zu einer chemischen Veränderung des gelben Budenheimer Kalksteins.)
(2) Als die Kirche zu klein wurde, erweiterte man sie (um 1197?) durch einen Anbau (2. Bau) nach Norden. Um diesen Anbau mit der Kirche zu verbinden, wurden zwei bogenförmige Tore in die Nordwand gebrochen. Abzulesen ist das daran, daß die Steine nicht im Verbund mit der Mauer stehen, sondern (wie mit einer Naht) an die alten Steine "angemauert" sind. Die helle Farbe der Steine verrät, daß diese Bögen erst nach dem Brand eingebrochen wurden.
(3) Nach Zerstörungen wird die Kirche im 14.Jhdt. neu errichtet (3. Bau), jetzt auf dem heutigen Geländeniveau. Man schließt die Bögen wieder, vergrößert zugleich die Grundfläche der Kirche nach Südwesten und erhöht die Mauern. Etwa ab dieser Höhe (3) finden jetzt auch die fein behauenen grauen Steine aus der seit etwa 1220 zerstörten Turmburg Verwendung. Sie stammen aus einem Oppenheimer Steinbruch.
(4) Der Bereich der rot verfärbten Steine in der Nordwand enthält also die ältesten Reste des Ursprungsbaues (1.Bau).
(5) Der Neubau hatte anfangs noch runde Fenster. Das verraten die unregelmäßigen, fast kreisförmigen Ausbruchsspuren um die hohen gotischen Fenster, die erst später (um 1500 bis 1508) eingebauten wurden. (Noch besser sind diese Spuren auf der Innenseite der Südwand zu erkennen.)
(6) Die schwarz abgesetzte Spur im neu eingebrachten Bodenbelag zeigt den Mauerverlauf des ersten Baues. Außen vor der Nordwand erinnert eine Linie von Pflastersteinen an den Mauerverlauf des Anbaues (2. Bau).
Eine Ansicht von 1813
In seinem Skizzenbuch von 1813 hat der Mainzer Maler Caspar Schneider (1755-1839) eine Ansicht der Johanniskirche nach Westen festgehalten. Im Vordergrund der Schutthügel, unter dem die Turmburg begraben ist. Im Hintergrund das Dorf Niederwalluf. Zwischen Dorf und Kirche der mit Reben bewachsene Hang, heute das Viertel "Schöne Aussicht". Die kleine aber doch stattliche Dorfkirche ist in ruinösem Zustand. So sah sie wohl J. W. v. Goethe im Folgejahr 1814 bei einem Besuch im Rheingau: "In der Nähe steht eine Kapellenruine, die auf grüner Matte ihre mit Efeu begrünten Mauern wundersam reinlich, einfach und angenehm erhebt."Eine Ausschnitt-Vergrößerung von Caspar Schneiders Skizze zeigt auch die spurenreiche Nordwand (rechts), die - wie der gesamte Innenraum - früher verputzt und bemalt war. Auch am äußeren Mauerwerk sind noch Rest des Verputzes erkennbar. Das Maßwerk der spätgotischen Fenster ist nur zum Teil beschädigt. Der hohe Bogen in der Ostwand, der ursprünglich für einen Choranbau gedacht war, der nie ausgeführt wurde, war bis zu den Zerstörungen (um 1793/95) nur mit einer provisorischen Mauer von geringer Wandstärke verschlossen. Dies läßt sich gut an einem Binderstein links im Bogen erkennen, in dem die Wein- und Kornpreise vom Jahr 1714 vermerkt sind. Die Inschrift konnte nur angebracht werden, wenn der Stein frei lag. Schneiders Skizze läßt noch das hohe steile Dach erahnen, das einst von einem kleinen Glockenturm gekrönt war.
[Zu einer Folge historischer Abbildungen des Bauwerks, die vom 16. Jahrhundert bis zu den Ausgrabungen 1931 reichen.]
[Zu einigen Fundstücken, die bei den Sanierungsarbeiten
im Sommer 2001 ans Licht kamen.]
Dank für die Unterstützung und Überlassung der Bildrechte, durch die diese Seite erst möglich wurden, geht an das Landesmuseum Mainz, das Landesmuseum Wiesbaden und das Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden.
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Stand 05.2008