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Der Beruf des Baders
von Elmar M. LoreyDas älteste Zeugnis für Johann Lorey und den Beruf, den er ausübt, findet sich in einer Steuerrechnung der fränkischen Gemeinde Geiselwind aus den Jahren 1718/19. Dort notiert der Schreiber, dass der Bader Johannes Lorey 30 Kreuzer für seine Hausgenossenschaft zahlt. Er schreibt zwar Vorey, doch wie spätere Dokumente belegen, ist zweifelsfrei unser Bader gemeint, der - wie spätere Taufpaten in der Familie vermuten lassen - wohl aus dem Bayerischen zugewandert war. Über die Motive seines Zuzugs wird man nur spekulieren können. Eines kann man jedoch mit Sicherheit sagen. Zu Zeiten dieser Steuerrechnung gehörte er und seine Familie mit Sicherheit nicht zu den Honoratioren des Dorfes, das zu den ältesten Siedlungen des Steigerwaldes gehört. Ein Teil seiner Nachkommen, zumindest sein ältester Sohn Georg Adam Lorey, von dem bisher nur das Geburtsdatum (23.01.1725) bekannt ist, übersiedelt später nach Stadelschwarzach, womöglich um dem Vater keine Konkurrenz zu machen, von dem er das "Handwerk" des Baders erlernt hatte. Der jüngere Sohn Johann Valentin, der am Weihnachtsabend 1737 geboren wird, folgt ebenfalls dem beruflichen Vorbild seines Vaters, bleibt aber wohl in Geiselwind, wo er der Stammvater einer Lorey-Sippe wird, die dort noch heute nahe beim Rathaus ansässig ist. Doch der Beruf, den Vater und Söhne ausüben, befindet sich zu dieser Zeit im Umbruch, der nicht zuletzt auf die Spätfolgen des Dreißigjährigen Krieges und die Pestzeit der 60er Jahre des 17. Jahrhunderts zurück zu führen ist. Viele der ehemals beliebten Badhäuser waren zerstört oder von den Gemeinden aufgegeben worden.
Doch der Beruf des Baders hat eine traditionsreiche Geschichte. Schon im Mittelalter hat jede Ortschaft von einiger Bedeutung ein Badhaus. Zumeist ist es in gemeindlichem Besitz und wird von einem Bader bewirtschaftet. Zugleich besorgt er das Haarschneiden, Barbieren und den Aderlaß, der nach dem medizinischen Verständnis der Zeit so etwas wie eine Art körperlicher Reinigung war; die Befreiung des Leibes von verdorbenen Säften und Körperdünsten. Seit alters galten die Badstuben zugleich aber auch als die Herbergen der Leichtfertigkeit, was allerdings auf die heidnischen und antiken Ursprünge des rituellen gemeinsamen Bades zurückgeht. Hinter der Bemakelung bestimmter Berufe steht nicht zuletzt eine Art religiöser Konkurrenz. Denn das Christentum versuchte durch die Diskriminierung der Unehrenhaftigkeit alte religiöse Gebräuche abzudrängen, die in vorchristlicher Zeit mit der Ausübung bestimmter Berufe eng verbunden waren. Dabei spielten unter anderem auch solche Tätigkeiten eine Rolle, die mit dem Toten oder dem Tod überhaupt in Verbindung standen. Diese untergründige Spannung zwischen alten und neuen religiösen Vorstellungen ist Ursache für eine Alltagspraxis, in der Bader, Henker, Abdecker, Müller und Hirten, aber auch noch eine Reihe anderer Berufe für lange Zeit in ein gewisses gesellschaftliches Abseits verbannt wurden. Zum anderen war das mittelalterliche Badhaus in der Tat Schauplatz mannigfacher erotischer Abenteuer. In den Städten, ja selbst in den Dörfern war die Badehütte der Freiplatz für Liebespaare oder Gelegenheit zur Anknüpfung von Bekanntschaften. Die Literatur ist voll von höchst anstößigen Beispielen und Berichten, die bis in die Goethezeit zu finden sind. Baderstöchter waren zumeist ebenso beleumdet wie Müllerstöchter. Man hielt sie leicht für Prostituierte und nicht selten waren sie es auch. Diese Überlieferung ist übrigens der Hintergrund für den speziellen Ruf des Pariser Moulin Rouge am Boulevard de Clichy, dessen Gründer, ein Zirkusdirektor namens Zidler, bei seiner Einrichtung im Jahr 1889 bewußt auf diesen allgemein geläufigen Zusammenhang anzuspielen suchte. Dank der langsam einsetzenden Aufklärung hatten aber Maria Barbara (*1731) und Anna Barbara (*1742), die beiden Töchter unseres Baders Johann Lorey und seiner Ehefrau Eva Barbara (+1758), vermutlich schon nicht mehr all zu sehr unter der traditionsreichen Bemakelung zu leiden.
Der alte Stabreim Bischof oder Bader hieß soviel wie alles oder nichts. Der Bader gehörte zu den unteren sozialen Schichten und hatte seit dem Mittelalter nur geringes Ansehen. Sein Berufsbild ändert sich erst, als im Zuge der großen Pestepidemien und den sich verbreitenden Geschlechtskrankheiten im 15. und 16. Jahrhundert immer mehr Badhäuser geschlossen wurden. Spätestens nach Ende des Dreißigjährigen Krieges sind auch die letzten Einrichtungen zerstört und nur selten werden sie wieder aufgebaut. Die Landesherrschaften beider Konfessionen hatten ihren Untertanen eine neues und rigoroses Erziehungsprogramm verordnet, in dem es keinen Platz mehr für das alte "sündige" Badhaus gab.Im Gegensatz zum Barbier, der häufig etwas ganz ähnliches tat, nicht aber an seine Scherstube gebunden war, durfte der Bader seine Praxis ehemals nur in der Badstube ausüben. Doch jetzt entwickelt sich dieser Beruf in Ermangelung der alten Örtlichkeiten immer mehr zu einer Art ländlichem Volksarzt zweiter Klasse. Und wenn er geschickt war, macht er den ausgebildeten Wundärzten unliebsame Konkurrenz. Der Bader behandelt Brüche und Verrenkungen, kuriert Wunden und Geschwüre und schient die gebrochenen Glieder. Er setzt Schröpfköpfe und nimmt den Aderlaß vor, er besieht Aussätzige und Erschlagene und versorgt die Leichen. Man sagte den Badern auch eine Reihe von Unarten nach, etwa daß sie zur Trunksucht neigen oder zur Geschwätzigkeit. Noch immer dürfen sie keinen Zünften angehören und ihre Kinder sind von zünftigen Berufen ausgeschlossen, wie die Reichspolizeiordnung von 1548 vorschreibt. Doch schon Karl V. versucht sie 1577 per Verordnung zu ehrlichen Leuten zu machen. Kaiser Rudolf II. macht einen weiteren Versuch, weil sich die Vorurteile hartnäckig halten. Für ihre Ausbildung gibt es jedoch noch keine Schulen, sie erlernen ihren Beruf von einander wie ein Handwerk. Die besseren unter ihnen nennen sich bald Chyrurgus (vom griech.= Handwerk) und in stetiger Kleinarbeit verbessern sie ihr Ansehen.
Bis weit ins 18. Jahrhundert sind sie die einzig erreichbaren ärztlichen Helfer und Ratgeber der kleinen Leute. Nicht überall waren sie streng bemakelt. In Hamburg (1375), in Augsburg und Würzburg (1373) wurden sie schon früh in Zünfte aufgenommen und im 17. Jahrhundert verpflichtete man sie in verschiedenen Herrschaftsgebieten, an den anatomischen Demonstrationen für Ärzte teilzunehmen. Damit wachsen ihre Kenntnisse ebenso wie ihr Ansehen. Im 18. Jahrhundert verschwindet die Bemakelung der Bader mehr und mehr, wenn auch Bosheiten gegenüber diesem Beruf nie ganz verstummen. Die Ausbildung wird nun amtlich geregelt und überwacht. Es entstehen spezielle Ausbildungseinrichtungen wie beispielsweise im Jahre1710 die Gründung der Berliner Charité. Reste der alten Vorurteile halten sich freilich gerade bei den Behörden hartnäckig. Als zum Beispiel die Churfürstlich Mainzische Regierung die Ärzte aus der Leibeigenschaft entläßt, weist eine Verordnung vom 27. Juni 1791 eigens darauf hin, daß diese Befreiung keineswegs für blose Baader zu gelten habe.Georg Paul Hönn, ein Beamter am Coburger Hof, ist ein Zeitgenosse unseres Baders Johann Lorey. Im Jahre 1743 - Johann ist gerade Vater seines vierten Kindes geworden - erscheint sein Betrugs-Lexicon, das noch heute berühmt ist und als eines der aufschlußreichen Zeitzeugnisse zum Alltagsverständnis des 18. Jahrhunderts gilt. Was Hönn über die Betrügereyen in allen Ständen notiert - und in seiner Sammlung fehlt in der Tat so gut wie keiner der damals gängigen Berufe - ist überaus ergiebig und praxisbezogen:
Bader betriegen
1) Wenn sie von geringen Sachen Pflaster und Artzneyen machen, und sich solche dergestalt theuer bezahlen lassen, daß da ihnen etwa die Ingredientien vor etliche Groschen zu stehen kommen / sie davor so viel Thaler begehren.
2) Wenn sie solche Patienten annehmen und curiren wollen, von deren Schäden und Beschwerung sie keine Erfahrung haben, ja offt nicht einmahl etwas davon gehöret.
3) Wenn sie bey Heilung äusserlicher Schäden und Ubeln sich unterstehen / innerliche Mittel und Artzneyen ohne alle Untersuchung / Erkänntniß und Verstand von den Artzneyen so wohl, als den innerlichen Zufällen zu geben, ja wohl gar à parte innerliche schwere Kranckheiten verwegener Weise zu curiren.
4) Wenn sie die Patienten mit ihren Schäden öffters vorsetzlicher weise aufhalten / damit sie an ihnen desto länger zu curiren und folglich mehr Geld zu verdienen haben.
5) Wenn sie solche Schäden, die allem Augenschein nach unheilbar sind / zu heilen sich unterstehen / und damit / unter Vertröstung guter Besserung, so lange umgehen, biß sie endlich ihre Pfeiffe gnug geschnitten haben, zuletzt aber dennoch / daß sie nun nichts weiter daran thun könten, und man einen andern darüber müste gehen lassen / vorgeben.
6) Wenn sie in Heilung eines Schadens entweder aus unzulänglicher Erfahrung ihrer Kunst / oder aber aus Vorsatz / um desto mehr Geld zu verdienen / Ubel ärger machen.
7) Wenn sie unter dem Vorwand ermangelenden Platzes die Badstuben so einrichten, daß Manns- und Weibs-Personen zusammen sehen / oder wohl gar zu einander kommen können, damit sie von lüsternen Bade-Gästen desto mehrern Zugang und Profit haben mögen.
8) Wenn sie nicht dulden noch vertragen können / daß ein anderer verständiger Wund-Artzt / oder auch nach Beschaffenheit der Sachen / ein Medicus mit zu Rath gezogen werde / sondern damit niemand ihre Stücke oder Tücke hinterkommen möge, lieber alles auf ihre eigene Hörner nehmen wollen, es mag ein Ende nehmen wie es wolle.
9) Wenn sie durch allerhand schmeichlerische, verläumderische und Quacksalberische Art und Weise auf dem Lande oder in den Wirths-Häusern und überall sich anerbieten, vorgebend, in was Hochachtung sie bey diesem und jenem berühmten Medico wären / von ihme öffters recommendirt würden / und daher auch von ihme sonderliche gute berühmte Artzneyen und Specifica wider diese und jene, wo nicht alle Kranckheiten zu erfahren die beste Gelegenheit gehabt hätten / nur daß sie die Leuthe dadurch an sich locken mögen.
10) Wenn sie sich des Zahnausreissens unterfangen / und doch wissen / daß sie in dieser Kunst nicht wohl geübet sind, nur damit sie den Groschen verdienen mögen.
11) Wenn sie mit ihrer Kunst hinter dem Berge halten, und ihren Lehr-Jungen die Kunst- und Handgriffe nicht treulich zeigen, sondern es genug seyn lassen, daß sie nach ausgestandenen Jahren etwan einen Bart putzen / ein Messer abziehen / eine Peruque accommodiren, und aufs höchste etwa ein Pflaster streichen können.
12) Wenn sie in ihren Badstuben das Holtz sparen, und gleichwohl von den Bad-Gästen sich das Badgehen wohl bezahlen lassen.
13) Wenn sie beym Schröpffen an statt der Flitte oder Schröpf-Eisens einen so genannten Schnöpffer brauchen, um desto eher von der Sache zu kommen, dadurch aber das Geblüt mehr erschrecken und zurück treiben / als herzu locken und befördern. (S. 29ff)Nun wollen wir all das, was hier an wenig Schmeichelhaftem über die Bader aufgeführt wird, beileibe nicht unserem Vorfahren unterstellen. Vollkommen ausschließen wird man es aber auch nicht können, getreu der volkstümlich philosophischen Weisheit: Der Mensch ist schon gut, nur die Leute sind schlecht. Aber man muss ja nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten.
Stand: .03/2015
© 2005 Elmar M. Lorey
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