Zur Person

LoreyElmar M. Lorey
1941 in Wiesbaden geboren. Studium der Theologie, Pädagogik, Psychologie und Publizistik in Mainz, Würzburg und Toulouse. Ab 1965 Reporter, Redakteur und Dramaturg beim Fernsehen. Dort Sendereihen wie "Rappelkiste", "Neues aus Uhlenbusch" u.a.; von 1988 an Koproduktionen mit Filmemachern aus Afrika, Asien und Lateinamerika im Rahmen des Projektes "Eine Welt"; Grimme-Preis (1975, 1984).
(Lorey ist NICHT bei Facebook.)
(
Bibliographie als pdf-Datei)
 
Lebt seit über 30 Jahren im Rheingau, der wegen seines Weinreichtums fast über 1000 Jahre hinweg die Goldkammer der Mainzer Kurfürsten war. 
Original "Bücherkiste" im 16. Jh. Der Rheingau liegt zwischen Wiesbaden und Rüdesheim, dort wo sich der Rhein auf seinem Weg nach Norden einen kleinen unerwarteten Schlenker nach Westen erlaubt, ehe er sich nach knapp 30 Kilometer wieder auf Nordkurs begibt. (siehe Karte) Auf dem nördlichen Ufer, voll im Angesicht der Sonne - wenn sie denn lächelt - ist dieser Landstrich mit fast mediterranem Klima gesegnet. Manche Berühmtheit lebte und wirkte hier. Vor kurzem erst noch feierte man den 600ten Geburtstag des alten Gutenberg, der wenige Kilometer von hier, im benachbarten Eltville, seine letzten Tage verlebte und der seine Druckpresse einst nach dem Vorbild der Rheingauer Weinkelter baute. Wissenshunger und Weindurst lagen hier schon immer nahe bei einander. Die ersten Bücher transportierte man beispielsweise in Weinfässern. Welch eine Zeit...
 
Kontakt

 

Nahe am Rheinufer steht das kleine alte Haus aus dem 18. Jahrhundert, häufig mit nassen Füssen, wie gerade wieder im Januar 2011. Denn bisweilen wird es vom Strom besucht, wenn er ungebärdig wird ob all der Zwangsjacken, in die ihn die Menschen eingeschnürt haben.
Niederwalluf um 1890Vor gut 110 Jahren hat der Maler Josef Wendelin Stollhofen (1848 Oestrich – 1909 Mainz) das historische Viertel an der Mündung des Wallufbaches ganz im Stil der späten Romantiker auf die Leinwand gebracht. Ein wenig verklärt und mit einem Turm ausgestattet, den es dort nie gegeben hat, zeigt das Bild die alte Werft und die ufernahe Kirche. Der Stimmung zu Liebe verschwinden historische Häuser hinter Bäumen oder sie sind als Scheunen maskiert. So aber liebte man in der zweiten Welle der Rheinromantik die Rheingauer Dörfer, und dieser Uferbereich mit seinen Weingärten war über Generationen beliebtes Ausflugsziel der Mainzer, die gerne mit dem Schiff herüber kamen.
Östlich (rechts) vom Haus fließt der Wallufbach die letzten 100 Meter zum Rhein hinunter. Ehemals bildete er die Grenze zwischen Kurmainz und den Nassauischen Grafschaften und seine Ufer waren Teil einer Grenzbefestigung aus einer undurchdringlichen Hecke ("Gebück"), hinter der sich der Rheingau vor anrückenden Feinden eine Zeit lang erfolgreich versteckte. Seine Bewohner waren niemals Leibeigene und verfügten bis ins 16. Jahrhundert über Freiheitsrechte wie sie sonst nur den Bürgern der großen Städte vorbehalten waren: Die "Rheingauer Freiheit".

 

© Peter Schütte, Portland (Oregon)

An dieser Stelle des alten Leinpfades zwischen Walluf und Eltville waren einst die Schiffe von Kloster Eberbach verteut.
(Ein Fotogemälde des "Ansel Adams-Preisträgers" Peter Schütte, Portland, Oregon)

Etwas - so sagt man - ist davon auch heute noch im Verhalten der Rheingauer geblieben. Sie sind keine rechten Landmenschen, aber auch keine wirklichen Stadtmenschen. Irgend etwas dazwischen, denn die Winzer waren  immer zugleich auch die Händler ihres Weines, den sie weit über die Grenzen der Region exportierten. Und so kamen sie weit herum und fühlten sich weltläufig. Aber wenn sie heute Politik machen, dann tun sie es bisweilen mit dem verbissenen Ernst, den man so gerne bodenständigen Bauern nachsagt. Manchmal sind sie stolz auf ihre geschichtsträchtige Region, in der seit der Römerzeit Wein angebaut wird und in der wohl auch schon mal ein deutscher König hinterrücks vergiftet wurde. Wenn es ernst wird, werfen sie aber auch bereitwillig Ballast ab und historische Spuren fallen ökonomischen Interessen und kurzatmigen Moden zum Opfer...


Wer sich mit den "verlorenen Dingen" beschäftigt, (den "lost causes", wie Siegfried Kracauer sie nannte), mit dem also, das im Laufe der Geschichte links und rechts vom Tisch der Wichtigkeiten gefallen ist, wird beispielsweise auf dem Gebiet der Weinkultur neben der alten "Weinmedizin" auf Dinge stoßen, die nur auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen. So etwa die "Rebtränen", über Jahrhunderte ein beliebtes Heilmittel - über das man hier etwas findet - oder über ein Würzmittel, das gleichfalls als lange vernachlässigtes "Nebenprodukt" aus dem Weinberg gelten kann, den

Agrest oder Verjus.

Über 3.000 Jahre kann man seine Geschichte zurückverfolgen - bis er dann um die Wende vom 18. ins 19. Jahrhundert in Vergessenheit geriet. Doch erfreulicherweise findet seit einiger Zeit eine Wiederentdeckung dieser traditionsreichen Würze aus dem Weinberg statt, die über den Umweg von Neuseeland, Australien, Südafrika und den Weinbaugebieten der USA dann auch wieder Europa, und nun auch Deutschland erreicht hat. Für das Produkt, das nun auch von deutschen Winzern wieder hergestellt wird, haben die Sprachen viele Namen: französisch: verjus, italienisch: agresto, spanisch: agraz, die englischsprachige Welt früher: verjon, heute: verjuice; arabisch: hisrim und persisch: gur. Die älteste deutsche Quelle nennt ihn um das Jahr 1200 agraz.
Die ganze Welt kannte und kennt ihn. Heute gibt es gar in Malaysia eigene Vertriebsstrukturen für diese „sanfte Säure“, wie Autoren sie in der Zeit der Renaissance nannten. Wer einmal damit in der Küche experimentiert hat, wird den Agrest nicht mehr missen wollen. Und deshalb konnte man seit den vergangenen Jahren auf diesen Seiten schon einiges über die Geschichte und die Bezugsmöglichkeiten dieses "Großen Küchenmeisters" - wie er noch im 18. Jahrhundert genannt wurde – erfahren, was dem einen oder anderen Winzer auch Anregung war. Jetzt gibt es die neuesten Meldungen.
Mehr dazu....

... auch das noch ...Das Mozart-Gedenkjahr 2006 hat geknallt. Auch wir hielten uns nicht zurück und haben jener rätselhaften Nacht nachgeforscht, die das Musikgenie einstmals in Walluf verbracht hat - und die in nahezu fast allen Biografien verschwiegen wird. Warum also gibt es nirgendwo eine Gedenktafel? Aber darüber wollen wir Bonhoeffer, Rembrandt, Freud und auch Harry Heines Gedenkjahr nicht vergessen, der unter seinem katholischen Taufnahmen Heinrich bekannt wurde und unter anderen Umständen wohl sicher „in Düsseldorf geblieben“ wäre, hätte man ihm nicht ähnlich unfreundliche Tritte in jenes Körperteil verpasst, wie sie Wolfgang Gottlieb Mozart einstmals in Salzburg erhielt, die dieser freilich - zumindest kurzfristig - für eine Art von Befreiungsschlag hielt.....

Was die kalendarischen Zufälligkeiten betraf, machte schon das Jahr 2005 dem „Bündnis von Bürokratie und Bildung“ ein besonders breites Angebot, um Nachdenklichkeiten anzuregen. Klar, da war Schiller (1805) und dann auch gleich schon Einstein. Aber auch Stifter und Hans Christian Andersen. Jean-Paul Sartre, „Die Brücke“ und Elias Canetti verlangen Aufmerksamkeit: In dessen Aufzeichnungen aus den Jahren 1942-1972, „Die Provinz des Menschen“, findet sich manch geschliffene Wahrheit, die der Erinnerung wert ist. („Immer wenn man ein Tier genau betrachtet, hat man das Gefühl, ein Mensch, der drin sitzt, macht sich über einen lustig.“ – „Von allen Religionen des Menschen ist der Krieg die zäheste; aber auch sie läßt sich auflösen.“) Aber vor 400 Jahren erschien auch der erste Band von „Don Quijote“. Wenn das nicht einer Erinnerung wert ist...?

Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Königsberg 1795In Jahr 2004 gedachte man des 200ten Todestages von Immanuel Kant (1724-1804). Nun hat der, weiß Gott, nicht im Rheingau gelebt, auch wenn er den Rheinwein geschätzt haben soll. Anlässe über seine Mahnung „Zum ewigen Frieden“ nachzudenken, kann man aber auch hier finden. Zum Beispiel den gerade mal wieder aktuellen Domänenstreit. Wenn man einen ganz einfachen Namen dafür finden will, dann ist es mal wieder ein kleiner Krieg derer von oben gegen die von unten. Es geht um einen Kellereineubau der ehemaligen Staatsdomäne im historischen Weinberg von Kloster Eberbach. Tief unter der Erde zwar, wie zu lesen, aber doch im landschaftlich schützenswerten Außenbereich. Der Vorstandsvorsitzende des mittlerweile zur Staatsweingüter GmbH mutierten Unternehmens, Ministerpräsident Roland Koch, pochte unnachgiebig auf § 35 des Baugesetzbuches und auf die Privilegierung von Weinbaubetrieben, denen es Neubauten auch außerhalb der Dörfer und Gemeinden, im Weinbergsland erlaubt. Einige Winzer haben es schon vorgemacht und mitten in die Weinbergslandschaft erschreckende architektonische Wunderwerke gesetzt. (Hier geht es zu einigen Bildbeispielen.)
Doch gerade auch die Winzer sind es, die Einspruch erheben gegen dieses wenig maßvolle Prestigeprojekt einer Eventkellerei im historischen
"Steinberg". Pikanter Weise haben alle Rheingaugemeinden ihre Ortseingänge mit einem Foto dieses fast mytischen Weinbergs verhübscht, um ankommende Touristen auf die unvergleichliche vom Weinbau geprägte Kulturlandschaft aufmerksam zu machen.

Die Erregung war groß und der Widerstand wuchs mit den täglichen Leserbriefen (wenn sie denn gedruckt wurden). (J.G.Herber), Das Rechtsverhältnis der Domainen im Hrztm. Nassau. Frankfurt 1831
Nach den gesetzlichen Vorgaben des Baugesetzbuches, des Natur- und Denkmalschutzes, so lauten u.a. die Einwände, sei der 15 Millionen teure Kellereineubau am Steinberg rechtlich nicht möglich, gerade weil der alte Standort in Eltville alle notwendigen Vorrausetzungen für eine Sanierung bietet. Dort wäre auch ausreichend Platz für einen Neubau neben dem denkmalgeschützten alten Domänengebäude. Doch der „Landesvater" machte Duck. „Wenn nicht am Steinberg und nach unseren Regeln, dann bauen wir halt irgendwo anders“, so könnte man sein demonstratives Votum vor den Rheingauer Winzern im Januar 2004 auf einen kurzen Nenner bringen.

Unwillkürlich sieht man sich an einen früheren „Domänenstreit“ erinnert. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte der damals herzogliche Landesvater den Versuch unternommen, den uralten Klosterbesitz, den die Säkularisation dem Nassauischen Staat gerade in die Hände gespielt hatte, vom Staatsvermögen in herzoglichen Privatbesitz zu überführen. Als herzoglicher Privatkeller sozusagen. Dem Landesvater und seinen fügsamen Beamten warf sich damals der verdienstvolle Eltviller Amtskeller und Präsident der nassauischen Volkskammer, Johann Georg Herber (*1763 in Winkel, + 1833 in Eltville), in den Arm. Wegen der zu Recht befürchteten herrschaftlichen Willkür, veröffentlichte der Frankfurter Verleger Joh. David Sauerländer im Jahre 1831 Herbers Streitschrift anonym.

Dennoch wurde Herber dafür und für andere Aufmüpfigkeiten im Jahr 1832 zu zwei Jahren Festungshaft bestraft, die er allerdings nie antrat, weil ein höherer Weinbergsherr ihn zuvor in hoffentlich friedlichere Gefilde abberufen hatte. Herbers Vorrede von damals liest sich unter heutigen Vorzeichen erstaunlich aktuell und trifft recht gut die Tonlage, in der die Sache heute verhandelt wird:
„Der Streit über das Domainenverhältnis im Herzogthume Nassau, der schon so lange zwischen den Ständen und der Regierung, oder vielmehr dem regierenden Hause (...) verfochten Herber, Domänenstreit 1831, Vorredewurde, hat theils seiner Wichtigkeit und seines mächtigen Einflusses auf das Wohl der Regierten wegen, theils wegen des groben Unrechts, das sich hier die Regierung gegen ihre Unterthanen (...) mit einer beispiellosen Hartnäckigkeit erlaubt hat, eine so allgemeine und lebhafte Theilnahme des nassauischen (...) Publikums gefunden, daß wir uns hierdurch herausgefordert glauben, (...) uns öffentlich verbreiten zu müssen (...) und das Dunkel, in das man den Umfang der vielen Domainenbestandtheile (...) zu hüllen bemüht war, nach Vermögen aufhellen zu müssen."
Die Behörden, denen es zukam, dieses Neubauprojekt mitten in den Weinbergen zu genehmigen oder abzulehnen, hatten ausgerechnet jenen Roland Koch und jenen Landrat Bernd Röttger zum Dienstherren, die als Mitglieder des Aufsichtsrates der Staatsweingüter GmbH zu den vehementen Verfechtern des Steinbegprojektes gehörten. Nun darf man also gespannt sein, wie dieser Domänenstreit einmal archiviert werden wird. Damals jedenfalls war den Plänen des Landesherrn kein Erfolg beschieden.

Im vorausgehenden Jahr stand die Erinnerung an die Säkularisation an. Unter dem Druck Napoleons brachte der "Reichsdeputationshauptschluß" von 1803 die Auflösung der geistlichen Herrschaften, damit auch das Ende des Mainzer Kurfürstentums, zu dem der Rheingau so lange gehörte. Damit einher ging auch die Aufhebung der Rheingauer Klöster. Es ist die Zeit, in der die wohlgehüteten Schätze der Klosterbibliotheken unter die Augen der gelehrten Öffentlichkeit geraten, und die bisher meist verborgenen mittelalterlichen Buchillustrationen tragen nicht wenig dazu bei, daß ein neues Interesse an der "alten Zeit" entsteht. Oft ist es aber ein verklärter Blick auf das Mittelalter, in dem das in Kleinstaaterei zerborstene Land noch so kraftvoll und vereint erscheint. Und so werden die alten Folianten erstaunlicherweise auch zum Futter für die gerade modern gewordenen Romantiker und - auf dem Hintergrund der revolutionären Ideen, die mit der französischen Besatzung ins Land kommen - nähren sie die Sehnsucht nach einer geeinten deutschen Nation. Anfang für eine demokratische Entwicklung, aber auch die Wurzel für Nationalismus und Chauvinismus ...

Im Jahre 2002 gedachte man der „200 Jahre Rheinromantik" Dabei beruft man sich vor allem auf einen schwärmerischen Brief Friedrich Schlegels (1772-1829) vom Mai des Jahres 1802. Doch vorher waren es schon die Engländer (Byron, Turner), die ständig auf der Suche nach besserer Verpflegung als in der Heimat - wie die Kabarettisten Rainer Pause und Martin Stankowski meinen - das Rheintal für sich entdeckten. Doch möglicherweise war der wirkliche Entdecker des "romantischen Rheins" ein ziemlich antiklerikaler, aus Höchst stammender Jurist namens Johann Kaspar Riesbeck (1754-1786). Im Jahre 1775 verläßt er seinen Studienort Mainz ( - weil er einen einflußreichen Domherrn tätlich angegriffen hatte -) und wird Schauspieler (Fach: komisch) in Wien. Dort schlägt er sich als Übersetzer und Schriftsteller durch. Von Goethe protegiert - er gehört dem Illuminaten-Orden an - wird Riesbeck der erste Redakteur der "Zürcher Zeitung". Sein 1783 anonym veröffentlichtes zweibändiges Werk "Briefe eines reisenden Franzosen in Deutschland" (!!) wird zum Bestseller und findet gleich auch französische, englische, italienische, holländische und schwedische Übersetzungen. Der flotte Ton seiner Schreibe und die kenntnisreiche Frechheit machen das Buch in den Jahren vor der französischen Revolution zum Gespräch der gebildeten Welt.

Originalton Riesbeck: "Die Lage dieser Städte und Flecken hätte die erhabenste Phantasie nicht romantischer und malerischer ausgeben können ... Die schönsten Gegenden in diesem romantischen Land sind die um Bacharach und Kaub, welche Städte beinahe gerade einander gegenüber liegen, um St. Goar und Koblenz. Die Lage von Bacharach ist, wie der Ort selbst, finster und schauerlich schön."
Auch Riesbeck schwärmt vom „lachenden Rheingau", aber das trübt nicht im geringsten seinen republikanisch aufklärerischen Blick: „Nachdem ich die Reize dieser ungemein schönen Landschaft einige Tage genossen hatte, trieb ich noch einige Tage durch die Dörfer des Rheingaus herum. Auch hier überzeugte mich der Augenschein, daß der Weinbauer nicht der glücklichste ist. Die Einwohner sind teils unmäßig reich, teils unmäßig arm ... Ein besonderes Übel für dieses Land ist, daß man dem Adel gestattet, zu viel Güter zu kaufen."
Und als hätte er schon im Jahre 1783 die gegenwärtige Entwicklung zum kaum mehr unterbrochenen Siedlungsband und zum Speckgürtel der Rhein-Main-Region erahnt, malt er ein Menetekel an die Wand, das heute so mancher Rheingauer fürchtet: „Die Nacht war schon angebrochen, als wir zu Geisenheim ankamen ... Wir konnten fast die ganze Küste des Rheingaus übersehen, die wie von einer zusammenhängenden Stadt bedeckt war. Die vielen Lichter in den unzähligen Dorfschaften täuschten mich sehr, daß ich wirklich eine ungeheure Stadt beleuchtet zu sehen glaubte."

Doch zurück zum Gedenkjahr 1802: Es steht auch für das Erscheinungsjahr von Novalis Mittelalterroman „Heinrich von Ofterdingen", in dessen ersten Zeilen schon von der Suche nach der „blauen Blume" die Rede ist. Diese „blaue Blume" ist gewissermaßen das Leuchtzeichen jener romantischen Sehnsuchtswelle, die durch das Rheintal zu rollen beginnt, zusammen mit jener schwärmerischen Wiederentdeckung des Mittelalters, die vor allem durch die zahlreichen alten illustrierten Handschriften ausgelöst wird, die nach der Säkularisierung (1803) aus den Klöstern heraus und unter die Augen der Öffentlichkeit kommen.

Kleiner Essigtropfen in diesem Feierkelch für die blaue Blume: Das unvollendete Werk des aus dem Mansfeldischen stammenden Bergbauingenieurs Friedrich von Hardenberg (1772-1801), wie Novalis mit bürgerlichen Namen hieß, erschien eben erst ein Jahr nach dem Tod des Dichters.

Überhaupt ist es mit der Rheinromantik und ihrer Haltbarkeit so eine Sache. „Tief ins Gemüthe der weiten Welt zu schauen", wie Novalis gleich zu Anfang seines Romans schreibt, wird man dem heutigen Rheingaubesucher guten Gewissens nicht unbedingt anraten können. Für einen tieferen Blick ragen aus den Weinbergen all zu sehr die neuen Maschinenhallen empor. Und aus dem schmalen Rest historischer Bauwerke haben sich Spekulanten ihre Opfer heraus gepickt, die nun als plastikverhüllte Bauruinen ins Auge stechen.

Wen das kümmert, wer sich öffentlich um die Lebensqualität in dieser alten Kulturlandschaft sorgt, dem kann es leicht passieren, daß Bürgermeister und andere Politikvertreter ihn einen romantischen Träumer (sprich: einen Deppen) nennen, einen quasi illegalen Zuwanderer mit pathologischem Sentimental-Egoismus, der über das Land eine Käseglocke stülpen will. Im schlechtesten Fall ergeht es den heutigen Warnern wie einst dem armen Novalis und seiner erst spät entdeckten „blauen Blume". Denn im Widerstreit von ökonomischen Interessen und einer verantwortlichen Landschaftsnutzung steht im Rheingau das Prinzip der Nachhaltigkeit erst noch vor seiner Entdeckung. Was wird den Besucher locken, wenn außer den Straußwirtschaften nichts mehr da ist, das ihn zum Verweilen einläd?

***

Satirische Anmerkungen zur Seelenlage des Rheingauers angesichts von "200 Jahre Rhein(gau) Romantik" findet man hier:
Zur Psychopathologie des Rheingauers.
Und hier einige Bilder aus dem real existierenden Rheingau
 

weitere Links:
Bei Herbert Michel findet man Weiteres (auch schön Schräges) zu Ort, Region und dem Rheingauer Dialekt.
Ein breites Angebot über den Rheingau, seine Orte, Geschichte, Bauwerke und viele weitere Links gibt es auf der Rheingau-Seite

Der Rheingau
zurück nach oben


 

Zurück zu Homepage   (zur Hauptseite)            zur Übersicht aller Seiten